Yaroslavna Golovanova

Presse

Badisches Tagblatt, 20. Januar 2009

Dmitry Fallens Finger tanzen auf den Knöpfen des Akkordeons / Sopranistin hat breites Repertoire

Beeindruckende "Lieder der Liebe"

Baden-Baden - Das angekündigte Programm "Lieder der Liebe" lockte am Sonntagnachmittag eine stattliche Besucherzahl in die Spitalkirche, wo die russische Sopranistin Yaroslavna Golovanova gemeinsam mit dem Ehepaar Oxana und Dmitry Fallen gastierte. Dabei erlebte das Publikum eine musikalische Reise über mehrere tausend Kilometer und durch verschiedene Epochen der Musikgeschichte.

Unerhört vielseitig, stilsicher und in teils atemberaubendem Tempo präsentierte sich dabei das Duo an Knopfakkordeon und Domra, einem alten russischen Zupfinstrument, das für ungeübte Ohren den Klängen einer Balalaika ähnelt. Dmitry Fallens Finger schienen über die Knöpfe zu tanzen, wenn er nicht gerade einen Teufelsgalopp hinlegte, der dem Namen "Karussell" des Duos alle Ehre machte. Besonders bei den rein instrumentalen Werken wie einem leidenschaftlichen Tango von Astor Piazzolla kam seine virtuose Spieltechnik zum Tragen.

Dmitry und Oxana Falter erwiesen sich ebenso als zuverlässige, einfühlsame Begleiter von Yaroslavna Golovanova. Die russische Sopranistin, die in ihrer hiesigen Wahlheimat bereits mit der Baden-Badener Philharmonie gastierte, studierte am renommierten Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium. In Köln vervollständigte sie ihre traditionelle Ausbildung im Bereich Opern- und Konzertsängerin. Bei Konzertreisen durch Europa stand sie unter anderem mit dem Bayerischen Staatsorchester, der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz oder dem Berner Symphonieorchester auf der Bühne. Ihr Repertoire ist breit gefächert und umfasst klassische Opernarien ebenso wie romantische Lieder, Balladen oder Chansons. Vivaldis "Intermezzo" bildete den Auftakt, dem sich das hingebungsvoll gesungene, von den Musikern sehr zurückhaltend begleitete "Ave Maria" anschloss.

Schuberts Romantik durfte bei der Liebesthematik natürlich nicht fehlen. Seine Serenade oder die Ode an die Schönheit der Natur im "Heideröslein" interpretierte Yaroslavna Golovanova mit innigem Ausdruck. Die ganze Wärme ihres vollen, klaren Soprans kam zur Geltung in "Besame mucho", voll anmutiger Strahlkraft wechselte die Künstlerin sodann nahtlos in den Bereich der französischen Chansons über. Einige Male schien sie mit ihrer voluminösen Stimme beinahe die Kuppel der kleinen Spitalkirche zu sprengen, um kurz darauf bei einem finnischen Liebeslied ihre ganze Seele einzubringen. Sich selbst am Keyboard begleitend, ohne Unterstützung der beiden Musiker, intonierte Yaroslavna Golovanova innig ein ergreifendes jüdisches Lied über die Liebe einer Mutter. Mit einem Potpourri russischer Romanzen und Zigeunerweisen beendeten die Künstler ihre musikalische Reise. Als Zugabe hauchte die Sopranistin beinahe zärtlich "Guten Abend, gute Nacht" ins Mikrofon. Langanhaltender Beifall und Bravorufe waren der Lohn für das stimmungsvolle Konzert.


Die Rheinpfalz, 1. Dezember 2008

Liebe und Freundschaft in Klassik und Folklore

Die Sopranistin Jaroslavna Golovanova verzaubert Zeiskamer Zuhörer bei der 16. Zeis-Kammer-Musik

Am Freitag verzauberte die russische Sopranistin Jaroslavna Golovanova ihre Zuhörer im Löwenhof in Zeiskam bei der 16. Zeis-KammerMusik unter dem Motto "Klassik trifft russische Folklore".

Der Veranstaltungsraum, ein gemütliches Dachgeschoss im Löwenhof, war bereits 20 Minuten vor Beginn bis auf den letzten Platz besetzt. So mussten bei Konzertbeginn einige Zuschauer einen Platz seitlich oder gar im letzten Winkel der gemütlichen Stube einnehmen. Zwar blieb ihnen hier die Sicht auf die Sopranistin und ihre musikalischen Begleiter verwehrt, es schadete aber nicht der Qualität des Abends.

Die Gesangsolistin Jaroslavna Golovanova erfüllte mit ihrer starken Stimme den Raum bis in den letzten Winkel und auch Oxana und Dimitry Faller ließen ihre Instrumente laut erklingen. Oxana Faller beeindruckte die Gäste besonders mit ihrer Fingerfertigkeit in Mozarts "Rondo". Mit ihrer Domra, einem der Laute ähnlichen russischen Zupfinstrument, begeisterte sie auch mit Musik aus Fred Raymonds Operette "Maske in Blau". Ebenso talentiert wie seine Frau sorgte Dimitry Faller für die musikalische Unterhaltung auf seiner Knopfharmonika (Knopfakkordeon).

Der eigentliche Star des Abends war jedoch die junge Sopranistin Jaroslavna Golovanova, deren verzauberndes Klangkolorit das Publikum rührte. Caccinis "Ave Maria" löste sogar begeisterte Publikumszurufe aus. Den Abend moderierte Golovanova selbst und widmete diesen der "Liebe und Freundschaft". Durch ihre ungewöhnliche Musikzusammenstellung der Werke, zum Beispiel von Vivaldi oder Schubert und Komponisten russischer Volkslieder, vermochte die gebürtige Russin Ihre Idee direkt auf das Publikum zu übertragen. Am Ende des Abends konnten im Publikum freundschaftliche Umarmungen und Paare eng zusammensitzend beobachtet werden.

Für den überschwänglichen Applaus dankten die Musiker zum Schluss noch mit dem berühmten russischen Lied "Kalinka" und animierten das Publikum noch einmal zu rhythmischem Beifall. (babe)


Kurstadt-Nachrichten, 19. November 2008

"Anfangs genügt die Lust zu singen"

Die Sopranistn Yaroslavna Golovanova möchte ihr Können und Wissen weitergeben

Selbst ist Yaroslavna Golovanova schon mit zahlreichen Orchestern auf der Bühne gestanden, darunter das Bayerische Staatsorchester, die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, das Berner Symphonieorchester, das Moskauer Staatssymphonieorchester und auch die Baden-Badener Philharmonie. Nun will die junge Sopranistin ihr Wissen und Können auch in ihrer Wahlheimat Baden-Baden weitergeben: mit der Eröffnung der Gesangsschule Yaroslavna Golovanova.

Das Talent der in Moskau geborenen Russin wurde bereits früh erkannt. Ihr Studium in den Fächern Gesang, Chordirigieren und Klavier am renommierten Moskauer "Tschaikowsky Konservatorium" schloss sie mit Auszeichnung ab. Auf das sechsjährige Studium und erste Auftritte folgte ihre Ausbildung zur Opern- und Konzertsängerin bei Kammersänger Professor Kurt Moll in Köln. Im Anschluss erhielt sie ein Bundesstipendium an der Hochschule für Musik und Theater in Bern, wo sie im Jahr 2002 ihr Studium mit dem Konzertexamen erfolgreich abschloss.

Es folgten zahlreiche Bühnenauftritte und Konzertreisen durch ganz Europa. Yaroslavna Golovanova interpretiert gleichermaßen das Klassische und Romantische, wie auch das Repertoire des 20. Jahrhundert, fühlt sich in Opernrollen ebenso wohl wie bei Kammermusikkonzerten oder Liederabenden. Mehr als einmal attestieren ihr Kritiker mit ihrem "expressiven Gesang das Glanzlicht des Abends" gewesen zu sein. Inzwischen gibt es von ihr gesungene Opernarien und russische Romanzen auch auf CD zu hören.

Nur allein der persönliche Erfolg war ihr jedoch nie genug. Sie möchte auch anderen dazu verhelfen. So erteilt sie schon bereits seit über zehn Jahren Gesangsunterricht, seit 2003 regelmäßig am "Musikalischen Institut Schwetzingen". Mehrere Schüler ihrer Gesangskurse konnten bereits erste Preise bei "Jugend musiziert" gewinnen.

Und jetzt hat sie ihren Traum von der eigenen Gesangsschule verwirklicht: in Baden-Baden, der Stadt, die sie durch Besuche und Auftritte kennen und lieben gelernt hat, in der sie nun schon über ein Jahr lebt und die sie inzwischen "als kleines Paradies" bezeichnet. In der Stahlbadstr. 4 (hinter der Dresdner Bank am Augustplatz) hat sie passenden Räumlichkeiten gefunden, um Kindern und Jugendlichen ebenso wie Erwachsenen Gesangsunterricht zu erteilen.

Dabei geht sie nach dem Motto "Jeder, der sprechen kann, kann auch singen" vor. Für den Anfang genügt die Lust zu singen, sagt sie.Für die Stimmentwicklung sei schließlich der Gesangsunterricht da. Sie habe schon häufiger im Laufe der Zeit bei Schülern, die eigentlich als untalentiert galten, "wahre Wunder erlebt", macht sie allen einfach Gesangsbegeisterten Mut. Bei ihrem Unterricht legt sie großen Wert auf Körperarbeit. Denn für eine gute Stimme seien nicht allein die Stimmbänder verantwortlich, der Klang der Stimme komme schließlich aus dem ganzen Körper heraus. Entsprechend müsse der gesamte Körper offen und frei sein und als Instrument angesehen werden. Ebenso zählen für sie Atemgymnastik und Sprecherziehung zu den elementaren Bestandteilen ihres Unterrichtsangebots. Das Angebot von Yaroslavna Golovanovas Gesangsschule richtet sich an Anfänger ebenso wie an Fortgeschrittene, die sich beispielsweise für eine Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule oder der Teilnahme an einem Wettbewerb vorbereiten möchten. Neben Einzel- werden auch Gruppenunterricht sowie Meisterkurse und Workshops angeboten.


Die Rheinpfalz, 13. November 2007

TEUFELSTÄNZE UND SCHWALBEN-WALZER

Konzert der Baden-Badener Philharmonie in der Konzert- und Festhalle in Wörth unter Pavel Baleff

In der ausverkauften Fest- und Konzerthalle Wörth wartete man Sonntag gespannt auf Dirigent Pavel Baleff und die Baden-Badener Philharmonie. Im Programm reihten sich die Größen der Romantik aneinander und versprachen einen abwechslungsreichen Hörgenuss. Diese Erwartung wurde voll und ganz erfüllt.

Bedrohlich, spannungsvoll ging es mit der Ouvertüre aus Giuseppe Verdis Oper "Luisa Miller" los. Pavel Baleff führte sein Orchester energisch durch die bereits anklingende Tragödie. Der gut intonierende Klangkörper folgte ihm und zeigte sich während des gesamten Konzerts reaktionsschnell, wendig und ausdrucksstark. Einen besonders seltenen Leckerbissen präsentierten die Philharmoniker mit Massenets Vorspiel zum dritten Akt seiner Oper "Manon". In der Regel wird dieser Teil aus "Manon" übersprungen. Wochenlang hatten die Baden-Badener nach dem Notenmaterial forschen müssen. Die Suche wurde mit perlender, heiterer Literatur belohnt. Besonders erwähnenswert ist das zierliche Seitenthema, in der sich vor allem Oboe und Flöte hervortaten. Viel Spielfreude und tänzerische Leichtfüßigkeit kam bei Charles Gounods "Trojanern" aus seiner "Faust"-Ballettmusik zu Gehör. Mit der Arie der Margarete aus Arrigo Boitos "Mefistofele" stellte sich die Sopranistin Jaroslawna Golowanowa dem Publikum vor und verzauberte. Mit klarer Stimme und weichem Timbre interpretierte sie einfühlsam Margaretes Gefängnismonolog "ln dunkler Nacht auf dem Meeresgrund". Die russische Sängerin war das Glanzlicht dieses Abends und sorgte mit ihrem expressiven Gesang bei Dvoraks "Lied an den Mond" aus der Oper "Rusalka" für Gänsehaut Bei Gounods Julia-Arie "Je veux viere" sprühte sie vor Lebensfreude und sang schwere Koloraturen und weite Intervallsprünge, als wenn es ein Leichtes wäre.

Vielseitigkeit bewies auch der Konzertmeister und Soloviolinist Yasushi Ideue. Die Violinromanze von Faure strich er weich und in ausladenden Bögen. Bei Saint-Sams "Dann Macabre" fühlte man sich ein wenig an die wilden, kratzenden Saiten des Teufelgeigers Paganini erinnert. Nicht umsonst verkörperte Ideue in Saint-Sams Geistertanz den Satan. Hart setzte hier der Bogen an und wurde mit Nachdruck über Doppelgriffe und leere Saiten gestrichen. Bei dem "Winter" aus Piazollas "Vier Jahreszeiten von Buenos Aires" ließ Ideue dann nach virtuosen Läufen zu einem feinen Pizzicato die Schneeflocken tanzen. Im Hintergrund schwang sacht ein Pachelbelzitat mit Bei der "Pavane pour une infante defunte" von Maurice Ravel beeindruckten die Baden-Badener Philharmoniker mit einem hauchzarten Orchesterklang. Die Streicher bildeten einen filigranen Klangteppich, auf dem vor allem die Hörner die elegische Melodie entwickelten. Das zerbrechliche, schlichte Werk hatte eine sehnsuchtsvolle Eleganz, wirkte jedoch wie eine Zäsur mitten in der zweiten Konzerthälfte. Danach kam man erst langsam wieder in die Gänge, obwohl Piazollas Winter eine gänzlich andere Grundstimmung hatte und durch eingeworfene Tangorhythmen und eine Anlehnung an Vivaldi aufhorchen ließ.

Spätestens bei Josef Strauß' abschließenden (Walzer)-Flug der österreichischen Dorfschwalben wurde aber wieder munter in der Wörther Fest- und Konzerthalle. Das Publikum entließ die Baden-Badener erst nach lang anhaltendem Applaus und Zugaben in den wohl verdienten sonntäglichen Feierabend.

Durch das Programm führte der Manager der Baden-Badener Philharmonie, Arndt Joosten, mit wissenswerten Hintergrundinformationen und kurzweiligen Anekdoten. Die Verantwortung fand im Rahmen der Konzertreihe "Musik Konzertant" der Sparkasse Germersheim-Kandel statt. Den Erlös aus den Eintrittsgeldern in Höhe 7ooo Euro spendete die Sparkasse zu gleichen Teilen der Tafel in Wörth und Germersheim. (ncm)


Der Bund (Bern), 15. Oktober 2001

Klingende Fragezeichen

BIENNALE BERN 2001 l Der Auftakt zu »Jüdische Musik? Fremdbilder-Eigenbilder« in der Bemer Dampfzentrale mit dem Kontrast-SinfonieorchesterBerii-Biel: irritierend.

pof. Das zweifelnde Fragezeichen im Titel hat es in sich: »Jüdische Musik? Fremdbilder - Eigenbilder« heisst das Thema der von der Freien Akademie organisierten Biennale Bern, die noch bis zum 21. Oktober dauert.

Was ist »jüdische Musik«? Auch vorläufige Thesen bieten schnell Angriffsfläche. Und dennoch setzt der behutsam differenzierende Titel Vorverständnisse, Eigenbilder und Fremdbilder von »jüdischer Musik« voraus, die zur Debatte gestellt werden sollen, obschon sie nicht ausgesprochen werden können, sollen, zum Teil auch: dürfen ...

Schwierige Definition
Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man musizieren:Jüdische Musik ist Musik, die von Juden geschrieben wurde. Diese zunächst so unverfänglich und plausibel erscheinende Definition irritierte jedoch schon anlässlich des ersten Eröffnungskonzerts aHcimh-äume und Realität« mit dem Kontrast-Sinfonieorchester der Musikhochschule Bern-Biel unter der Leitung von Israel Yinon: Was, wenn ein jüdischer Komponist plötzlich so gar nicht »jüdisch« schreibt und man sich einfach an einem Konzert mit Raritäten des 20. Jahrhunderts wähnt?

Tradition?
Die »Zwei Etüden für Orchester« des Russland-Schweizers Wladimir Vogel verbinden verschiedenste Einflüsse der europäischen Musikgeschichte, die zu atmosphärisch reichen, eindringlichen Charakterstudien gefügt werden. Aber auch beim düsteren »Ritmica funebre« war keine Spur von jüdischer Tradition auszumachen, ebenso wenig wie bei Hans Kräsas »Vier Orchesterlieder« op.l nach Christian Morgensterns »Galgenliedern« für Sopran und Orchester.

Die Musikerinnen und Musiker, allen voran die phänomenale russische Sopranistin Jaroslavna Golovanova, brachten mit hohem Einsatz und grossem Können den lakonischen Witz und den schillernden Farbenreichtum dieser Partitur zum Ausdruck. Mit welchem Engagement die Ausführenden die häufig undankbaren, darüber hinaus hoch komplexen Kompositionen interpretierten, war höchst bemerkenswert.

Programmtechnisch gesehen, wirkte die Kombination der Werke ziemlich beliebig. Es stellt sich jedoch die Frage, was diese Kompositionen zur Festivalthematik beizutragen hatten: Dokumente der Assimilation? Verfehlte Fremdbilder widerlegen? Oder warn am Ende bloss das Scheitern dieses Versuchs, jüdische Musik über die Identität der Komponisten zu definieren?

Projektion - Rekonstruktion
Auch Alexander Wepriks »Tänze und Lieder aus dem Ghetto«, die den kulturellen und religiösen Hintergrund ihres Sehopfers explizit thematisieren, sind letztlich Projektionen. Der Sowjetbürger Weprik musste die ostjüdische Lebenswelt und ihre folkloristischen Impressionen auch zuerst rekonstruieren.
Das Fragezeichen bleibt.


Der Bund (Bern), 15. Januar 2001

Tragisches Schicksal, eindrücklich dargestellt

Stadttheater / Das Tagebuch der Anne Frank als Oper. Auf der Kornhausbühne ist als Erstaufführung die Geschichte des jüdischen niederländischen Mädchens zu erleben, das 1945 von den Nazis umgebracht wurde

Die Geschichte ist bekannt. Die vierköpfige jüdische Familie Frank emigriert 1933 nach der Machtergreifung Hitlers aus Deutschland nach Amsterdam. Die 1929 geborene Anne und ihre ältere Schwester gehen dort zur Schule, der Vater geht seinen Geschäften nach. Im Juli 1942, nachdem auch in Holland der Abtransport von Juden in den Osten begonnen hat, versteckt sich die Familie im Hinterhaus der Firma, in welcher der Vater arbeitet. Zwei Jahre später, im August 1944, wird sie von der SS entdeckt, verhaftet und deportiert. Anne und ihre Schwester werden 1945 im KZ Bergen-Belsen umgebracht, ihre Mutter stirbt in Auschwitz. Der Vater überlebt als Einziger der Familie. In den zwei Jahren im Versteck schreibt Anne ihr Tagebuch. Der Text gehört zu den eindrücklichen Dokumenten der Nazizeit, entstanden ohne den geringsten Kontakt der Autorin zur Aussenwelt, aber geschrieben mit einer Intensität und Menschlichkeit, die ihn zum Weltbestseller werden liessen.

Grigori Frid, dessen kompositorisches Schaffen (drei Symphonien, zwei Orchestersuiten, Kammermusik, Schauspielmusik sowie zwei Monoopern) ausserhalb von Russland kaum je zur Aufführung kommt, hat »Das Tagebuch der Anne Frank« 1969 geschrieben. Das Werk war dem Regime jedoch zuerst nicht genehm. 1972 kam es konzertant mit Klavierbegleitung, und 1977 schliesslich in der originalen Fassung mit Orchester, aber ebenfalls ohne szenische Umsetzung, in Moskau zur Uraufführung.

Bis heute wird die Oper, die für eine einzelne Stimme geschrieben ist, meist konzertant und meist in der Fassung für Klavier wiedergegeben. Die Orchesterfassung kam 1993 in Nürnberg erstmals szenisch auf die Bühne. 1999 entschloss man sich in Braunschweig zu einer Zwischenlösung, einer Kammermusikfassung. Diese Adaptation für neun Instrumentalisten (drei Holzbläser, einen Blechbläser, drei Streicher, Klavier und Schlagzeug) ist jetzt am Samstagabend auf der Berner Kornhausbühne szenisch zur Schweizer Erstaufführung gelangt.

Glanzvolle Solistin
Regisseur Cyril Tissot versucht gar nicht erst, den trotz seiner Tragik kaum dramatischen Stoff zu interpretieren. Mitgeringem technischem Aufwand, einer spärlichen Beleuchtung und ganz wenigen Requisiten überlässt er die Bühne ganz seiner Darstellerin, der russischen Sängerin Jaroslavna Golovanova in der Rolle der Anne Frank. Die 28-jährige Sopranistin, die seit 1999 mit einem Stipendium an der Berner Hochschule für Musik und Theater studiert, ist eine Entdeckung. Unterstützt nur vom unter der Zuschauertribüne platzierten Orchester bestreitet sie, ganz nahe an der ersten Zuschauerreihe, den Abend ganz alleine. Golovanova verfügt, obschon sie während der rund einstündigen pausenlosen Vorstellung fast dauernd zu singen hat, über eine stupende Prazenz, und ihre Stimme zeigt nicht die geringsten Ermüdungserscheinungen. Auch ihre schauspielerische Leistung ist beeindruckend. Sie versucht nicht, Anne Frank zu sein, sondern drückt, meist bloss mit ihrer Körperhaltung, deren Gefühle aus. Etwas befremdend wirkt, dass die Russin den original russischen Operntext auf Deutsch zu singen hat. Einwandfrei musizieren auch die neun Solisten unterder musikalischen Leitung von Dominik Blum.

Das vom Komponisten erstellte Libretto hält sich wortgetreu an den Originaltext. In 4 Szenen mit 21 Episoden, die fliessend ineinander übergehen, schildert er tragische und fröhliche Momente aus dem zweijährigen Gefangenendasein von Anne Frank. So wenig das Libretto dramatische Gestalt hat, so wenig lebt die Musik ein wirklich eigenständiges Dasein. Frid komponiert weitgehend dem Text entlang, ist einmal dramatisch aufwallend, dann wieder ganz leise. Eine Art Schauspielmusik eigentlich, die für sich, ohne Singstimme, kaum Bestand hat.

Die Aufführung, die bis Ende Januar noch fünfmal zu sehen ist, steht in Verbindung mit der Biennale »Jüdische Musik? Freundbilder-Eigenbilder«, die vom 12.-21. Oktober 2001 stattfindet.